Von Gefangenschaft zum Skelett – Die Geschichte eines Elefanten im 19. Jahrhundert
Lea Marie Dultz, Clemens Wandslebe
„In unserer Westwelt ist der Elephant überhaupt spät bekannt geworden, aber auf eine um so glänzendere Weise.“ [1]
Im neunzehnten Jahrhundert übte der Elefant auf die Menschen in Deutschland eine besondere Faszination aus. Zum ersten Mal hatten breite Teile der Gesellschaft die Möglichkeit, die Dickhäuter persönlich zu Gesicht zu bekommen, die in Zoologischen Gärten, Zirkussen oder sogar als wandernde Attraktion große Popularität erfuhren [2]. Gleichzeitig bemühten sich Zoologische Sammlungen ein Hautpräparat oder sogar ein Skelett auszustellen. So auch die Zoologische Sammlung der Universität Heidelberg. In den Archivunterlagen zum „Heidelberger zoologischen Museums“ findet sich ein Verweis auf die Schenkung eines Elefantenskeletts durch den Direktor der Sammlung Heinrich Alexander Pagenstecher (1799-1869) an die Universität [3]. In einem Brief an das Ministerium des Inneren beantragt er finanzielle Unterstützung für die “Aufstellung eines Elephanten“, wozu unter anderem ein Flaschenzug benötigt wurde [4]. Aus den Akten erfahren wir, dass diese Mittel genehmigt wurden, finden sonst allerdings keine Hinweise auf den Verbleib des Skeletts. Die Tatsache, dass sich in der heutigen Zoologischen Sammlung ein Elefantenschädel eines weiblichen asiatischen Elefanten befindet – dieselbe Art, wie sie in den Akten erwähnt wird – lässt die Vermutung zu, dass dieser Teil in Heidelberg geblieben ist, was sich mangels Quellen aber nicht abschließend beweisen lässt.

Insofern stellt sich die Frage nach der Provenienz des Elefanten. In einem Katalog der Sammlung von 1874 findet sich hierzu ein wichtiger Hinweis: Dort wird ein Elephas indicus also ein asiatischer Elefant erwähnt, den Alexander Pagenstecher 1871 aus dem Kölner Zoo erworben hat. In weiteren Recherchen konnten wir, dank des sehr gut aufgearbeiteten Archivs des Kölner Zoos, feststellen, dass Pagenstecher mit dem damaligen Direktor des Kölner Zoos Nicolas Funck befreundet war [5]. In einem Zeitschriftenartikel beschreibt Pagenstecher einen Besuch im Zoo, wobei er auch einen dort gehaltenen Elefanten besucht. Daran anknüpfend bemerkt er schließlich, dass dessen „ausgestopfte Haut und sein Gebein, sorgsam präpariert, […] unser Heidelberger Museum [schmücken] und […] sein Andenken [erhalten]“ [6]. Da zu diesem Zeitpunkt nur ein einziger Elefant im Kölner Zoo gehalten wurde und im Katalog der Sammlung ebenfalls nur dieser asiatische Elefant vermerkt ist, lässt sich mit einiger Sicherheit sagen, dass genau dieser Elefant aus Köln nach Heidelberg gekommen ist.


Darüber hinaus ist auch einiges über das Leben der Elefantenkuh bekannt. Bei dem Tier, das später einmal in Heidelberg enden sollte, handelte es sich um den ersten Elefanten im Kölner Zoo, der 1864 aus Sri Lanka nach Köln gekommen war, für den aber leider weder ein Name noch Bilder überliefert sind [7]. Allerdings ermöglicht ein Aufsatz von Heinrich Bodinus, dem Vorgänger von Funck, einen Einblick in das Leben im Tiergarten [8]. Dieser berichtet von seiner Arbeit mit der Elefantendame, wobei er einerseits die Zähmung und “Dressur“ des Tieres, indem dieses „mittelst eines eisernen Hakens“ geführt wird, beschreibt. Andererseits hebt er die Lernfähigkeit und Verbindung zwischen Pfleger und Tier positiv hervor [9]. (Abb. 3) In diesem Zusammenhang ist auch eine besondere Anekdote von dem Kölner Abgeordnetenfest am 22. und 23. Juli 1865, einer Versammlung von rheinischen Liberalen, überliefert. Als die Versammlung, die als politisch unliebsam betrachtet wurde, durch die Polizei geräumt werden sollte, holte Heinrich Bodinus besagten Elefanten aus seinem Käfig und stellte sich damit den Polizisten in den Weg, um eine gewaltsame Auseinandersetzung zu vermeiden [10]. Dadurch wurde das Tier in Köln zu einer kleinen Berühmtheit. Ein langes Leben war ihr allerdings nicht vergönnt. Wie für die Zeit üblich, wurde die Elefantenkuh in einem zu kleinen Gehege gehalten und auch sonst nicht artgerecht versorgt, weswegen sie 1871 nach nur 7 Jahren im Alter von 35-40 Jahren an ‚Rotz‘ starb, einer damals in Zoos verbreiteten Krankheit [11].
Die Geschichte des Elefanten erlaubt Einblicke in die damals noch junge Geschichte der Zoologischen Gärten um die Jahrhundertmitte. Bei der Gründung hatten viele dieser Einrichtungen den Anspruch ein naturwissenschaftlicher Lehrort zu sein und einen Beitrag zur Erforschung von Tieren zu leisten. Man erhoffte sich besonders von der Verhaltensbeobachtung wichtige Erkenntnisse [12]. So erklärt sich auch die Verbindung zur universitären Forschung, wie im Fall von Pagenstecher und Funck, wobei Skelette anatomisch ausgewertet und ausgestellt wurden. In der Praxis konnte dieser Anspruch von Wissenschaftlichkeit jedoch häufig nicht erfüllt werden, da es an Ressourcen und „interessierten Fachleuten“ fehlte [13]. Ganz im Gegenteil wurden auch aus wirtschaftlichen Motiven Tiere, die als besonders spektakulär galten, als Schauobjekte angeschafft. Hierbei spielte der umstrittene Carl Hagenbeck, der viele Zoologische Gärten mit seinen ‚exotischen‘ Tieren belieferte eine wichtige Rolle [14].

Diese Doppeldeutigkeit zwischen Wissenschaftlichkeit und Spektakel zeigt sich auch am Beispiel unserer Elefantin. Einerseits wird diese von zoologischen Experten wie Pagenstecher untersucht, anderseits berichtet Bodinus zum Beispiel, wie Vorführungen angeboten wurden, bei denen ein Pfleger vor dem Publikum auf dem Elefanten ritt [15]. Die begeisterte Reaktion des Publikums zeigt, wie groß das Interesse der deutschen Gesellschaft am vermeintlich Exotischen war. Wir können nur spekulieren, wie der Elefant schließlich nach seinem Tod in Heidelberg ausgestellt wurde, aber mit Blick auf zeitgenössische Trends in der Taxidermie ist es durchaus möglich, dass auch hier versucht wurde diese Begeisterung einzufangen, indem das Skelett als beeindruckendes Monstrum inszeniert wurde [16].
[1] Schlegel, August Wilhelm: Indische Bibliothek, Bd. 1, Bonn 1823, S. 131.
[2] Oettermann, Stephan: Die Schaulust am Elefanten. Eine Elephantographia Curiosa, Frankfurt 1982, S. 181f.
[3] Schreiben des Zoologischen Instituts an die Großherzogliche Ökonomiekommission vom Dezember 1871, Universitätsarchiv Heidelberg (UAH), RA 5344.
[4] Schreiben des Zoologischen Instituts an die Großherzogliche Ökonomiekommission vom Dezember 1871, UAH, RA 5344.
[5] Becker, Ralf: „Der mit dem Jaguar tanzte…“, in: Zeitschrift des Kölner Zoos 59/2 (2016), S. 94f.
[6] Pagenstecher, Heinrich Alexander: Ein Besuch in den zoologischen Gärten zu Cöln und zu Frankfurt a. M., in: Der Zoologische Garten. Zeitschrift für Beobachtung Pflege und Zucht der Thiere 15 (1874), S. 19-27, hier: S. 23.
[7] Pagel, Theo B.: Der Kölner Zoo - Elefantenhaltung und -schutz - von 1864 bis heute, in: Zeitschrift des Kölner Zoos 67/2 (2024), S. 7-10.
[8] Bodinus, Heinrich: Der Elephant in der Gefangenschaft, in: Die Gartenlaube 2 (1866), S. 21-23.
[9] Bodinus: Der Elephant in der Gefangenschaft.
[10] Rieke-Müller, Annelore/Dittrich, Lothar: Der Löwe brüllt nebenan. Die Gründung zoologischer Gärten im deutschsprachigen Raum 1833-1869, Köln 1998, S. 114.
[11] Rieke-Müller, Annelore/Dittrich, Lothar: Carl Hagenbeck (1844-1913). Tierhandel und Schaustellung im Deutschen Kaiserreich, Frankfurt 1998, S. 91.
[12] Rieke-Müller/Dittrich: Der Löwe brüllt nebenan, S. 113.
[13] Rieke-Müller/Dittrich: Der Löwe brüllt nebenan, S. 114.
[14] Rieke-Müller/Dittrich: Carl Hagenbeck (1844-1913), S. 93.
[15] Bodinus: Der Elephant in der Gefangenschaft.
[16] Thorsen, Liv Emma/Rader, Karen A./Dodds, Adam (Hrsg.): Animals on Display. The Creaturely in Museums, Zoos and Natural History, University Park, Pennsylvania 2013. S. 30f.
Veröffentlicht am 11.08.25