Wiedergutmachung für Sinti und Roma. Eine Praxisgeschichte der Entschädigung von NS-Unrecht 1945-1980 am Beispiel Baden-Württembergs

Nach der Befreiung von der NS-Herrschaft sollten die Opfer durch Wiedergutmachungszahlungen entschädigt werden: ein in dieser Form bis dahin einmaliges Vorhaben. Wer aber Opfer war und wofür entschädigt werden sollte, darüber herrschte Unklarheit. Die Definition des „NS-Verfolgten“ war abhängig von Gesellschaftskonzeptionen und Normvorstellungen, die umstritten waren und sich seit 1945 stetig wandelten. Im Zentrum meiner Forschung steht die Frage, inwiefern die überlebenden Sinti und Roma durch die Bundesrepublik Deutschland und ihre Länder – hier exemplarisch Baden-Württemberg und seine Vorgängerländer – entschädigt wurden. Denn der verbreiteten These einer „verweigerten Wiedergutmachung“ für Sinti und Roma fehlt es bisher an empirischer Substanz. Die Auswertung von 216 Einzelfallakten bringt nun erstmals quantitative Erkenntnisse über die Entschädigungspraxis dieser Verfolgtengruppe zu Tage. Darüber hinaus ordnet die Studie die – zuvor quantitativ vermessenen – Verfahrensausgänge in ihre administrativen Kontexte ein. Das scheint umso nötiger, als die Befunde des ersten Untersuchungsteils verdeutlichen, dass die Vorstellung von der „verweigerten Entschädigung“ zu kurz greift und Sinti und Roma häufiger, früher und mehr Entschädigungszahlungen erhalten haben als bisher angenommen, was die Frage aufwirft, wie die Diskrepanz zwischen Empirie und dominierendem Narrativ zu erklären ist. Sie führt weg von politik- und rechtsgeschichtlichen Zugängen zur Wiedergutmachung. Stattdessen werden mit einem praxeologischen Ansatz die administrativen Arbeitsabläufe und Alltagsroutinen der Wiedergutmachungsämter sowie der konkrete Vollzug des Entschädigungspersonals untersucht.

Bitte beachten Sie, dass die Veranstaltung um 18.00 Uhr beginnt.