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Aktuelle Forschungsprojekte

Die Vernichtung der Ortschaft Korjukivka im Gebiet Černihiv/ Ukraine unter deutscher Besatzungsherrschaft 1943

Gefördert durch das Auswärtige Amt

Leitung: Prof. Dr. Tanja Penter und Dr. habil. Valeryi Vasylev

Die Zerstörung der Ortschaft Korjukivka im Gebiet Tschernihiv in der Ukraine und der Massenmord an ihren Einwohnern Anfang März 1943 zählt zu den großen nationalsozialistischen Einzelverbrechen an der Zivilbevölkerung in der besetzten Ukraine. Infolge einer sogenannten „Strafaktion“ im Zeichen des Anti-Partisanenkampfes wurden etwa 7.000 Einwohner der Stadt getötet. Eine zentrale Rolle bei der Durchführung des Verbrechens spielte der Kommandeur der Sicherheitspolizei und des SD in Tschernihiv und spätere Leiter des Sonderkommandos 4a, SS-Sturmbannführer Theodor Christensen. Die Leichen der ermordeten Menschen waren nach der Befreiung des Gebietes durch die Rote Armee in Massengräbern aufgefunden worden. Im Gebiet Tschernihiv wurden zudem mindestens 18 weitere Ortschaften samt ihrer Bewohner durch Angehörige der Sicherheitspolizei und des SD in Tschernihiv vernichtet.

Die Erinnerung an das französische Oradour, das tschechische Lidice und das griechische Distomo, wo im Zeichen von Vergeltungsaktionen gegen Widerstandsgruppen von den Deutschen ähnliche Verbrechen an der Zivilbevölkerung verübt worden waren, ist inzwischen zum festen Bestandteil einer europäischen Erinnerungskultur an die Massenverbrechen des 20. Jahrhunderts geworden. Dagegen ist der Name Korjukivka nicht nur in einer breiteren deutschen und europäischen Öffentlichkeit, sondern auch im Kreis der Fachhistoriker:innen bis heute weitgehend unbekannt.

In der Nachkriegssowjetunion wurde im Hinblick auf die Opfer der „verbrannten Dörfer“ vor allem an das belarussische Chatyn, in der Nähe der Hauptstadt Minsk, erinnert, wo im März 1943 152 Bewohner der deutschen Vernichtungspolitik zum Opfer gefallen waren.  Chatyn steht stellvertretend für zahlreiche weitere verbrannte Ortschaften im besetzten Belarus. Bereits Ende der 1960er Jahre war in Chatyn ein großer sowjetischer Gedenkkomplex von unionsweiter Bedeutung errichtet worden, um an die Opfer der zerstörten belarussischen Dörfer zu erinnern. In Korjukivka betrieb der Sowjetstaat trotz der hohen Opferzahl keine ähnliche Gedenkpolitik, sondern verschwieg das Verbrechen  jahrzehntelang, was unter anderem damit zusammenhing, dass die große sowjetische Partisaneneinheit, die in der Nähe von Korjukivka lagerte, bei dem Verbrechen eine unrühmliche Rolle gespielt hatte, weil sie der Zivilbevölkerung nicht zur Hilfe gekommen war. Erst 1977 wurde ein erstes Denkmal in Korjukivka errichtet, das allerdings nicht den ermordeten Einwohnern, sondern dem "heldenhaften Widerstand der Bevölkerung gegen die deutschen, faschistischen Invasoren" gewidmet war.
 
In einem trilateralen deutsch-ukrainisch-ungarischen Forschungsprojekt am Historischen Seminar der Universität Heidelberg, das aus Mitteln des Auswärtigen Amtes gefördert wird, werden zum Teil neu zugängliche ukrainische sowie deutsche und ungarische Aktenbestände gemeinsam ausgewertet, um den genauen Tathergang des Verbrechens, Opfer, Täter und Zeugen sowie die Nachgeschichte der (fehlenden) juristischen Aufarbeitung und der jahrzehntelangen Tabuisierung des Verbrechens in der Sowjetunion zu untersuchen.

Perestrojka als Mehrebenenprozess

Gefördert durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft: Heisenberg-Programm, Laufzeit seit September 2021
Leitung: PD Dr. Franziska Schedewie

Projektbeschreibung:
Perestrojka war gedacht als ‚Umgestaltung‘ mit nicht-hegemonialen Mitteln. Im kommunistischen System der Sowjetunion, in dem „Macht gleich Macht“ bedeutet hatte, sollten Glasnost (Öffentlichkeit) und Demokratisierung die Bevölkerung der Idee nach zu Verbesserungen aus eigenem Antrieb mobilisieren. Alle – vom Staat bis zum Individuum – waren gleichzeitig gefordert, sich einer plötzlich offen erscheinenden Zukunft zu stellen.
Perestrojka 1985/6-1991 als letzte, prägende Epoche der Sowjetunion war dabei nicht nur ein Produkt der Gorbatschow-Politik ‚von oben‘ und von Basisinitiativen aus der Bevölkerung ‚von unten‘. Perestrojka war auch das Produkt von Akteuren und Akteurinnen, die auf verschiedenen Hierarchie-Ebenen von Institutionen und (Partei-)Organisationen den neuen Kurs interpretierten, kommunizierten und umsetzten. Institutionen, Organisationen und ihre Akteure bildeten Schnittstellen zwischen Staat und Bevölkerung. Hier, an diesen Schnittstellen der mittleren und vermittelnden Ebenen, wurde die Perestroika tatsächlich ‚gemacht‘. Doch sind es genau diese Ebenen, an denen Perestroika bisher untererforscht ist. Daher der Obertitel meines Projekts ‚Perestrojka als Mehrebenenprozess‘.    

Fallstudie:
Perestrojka als Exportprodukt. Von der Staatsebene in den Alltag am Beispiel UdSSR-DDR
Im Zentrum meines Projekts untersuche ich, wie Perestrojka über Institutionen und durch konkrete Akteure im sozialistischen Ausland vermittelt wurde. Die DDR bildet ein besonderes Fallbeispiel. Dort war der staatliche Widerstand gegen die Reformen stark, und das Ende des hier fortgeschrittensten Sozialismus fiel mit der deutschen Wiedervereinigung zusammen. Jenseits der obersten Vieraugengespräche erforsche ich, wie Perestrojka als Modell (das dem selbstauferlegten Ansatz nach nicht mit Machtmitteln durchgesetzt werden konnte) in ungewöhnlichen Elitendiskursen, im Alltag und in der Fläche vermittelt und rezipiert wurde. Dafür werte ich Dokumente aus (sowjetischen) Archiven, Periodika und eigene Interviews aus. Den Impuls zu meinem Thema gaben mir Zeitzeugen, die von öffentlichen Auftritten erzählten, um Perestrojka zu propagieren. Perspektiven wie von ihnen, aber auch von anderen wichtigen Akteuren und vermittelnden Institutionen, so insbesondere etwa der Russisch-Orthodoxen Kirche, sind in den einschlägigen Darstellungen zur sowjetischen Deutschlandpolitik am Ende des Kalten Krieges unterbeleuchtet. Wie die Akteure ihre Handlungsspielräume nutzten, deutet aber auf ihre Perspektiven auf die Perestrojka im eigenen Land – für die als Produkt sie selbst einen Faktor bildeten. Die Analyse wird auch zeigen, dass sich manche Entwicklungen schon während der Perestrojka abzeichneten, deren Anfänge bisher erst nach dem Ende der Sowjetunion angenommen wurden.  

Wissenschaftliches Editionsprojekt “Politische Berichte des Sowjetbotschafters Adolf Joffe aus Berlin, April bis November 1918”

Gefördert durch die Deutsch-Russische Historikerkommission (2020-2023)

Leitung: Prof. Dr. Alexander Vatlin (Staatl. Moskauer Lomonossov-Universität)/  Prof. Dr. Tanja Penter (Universität Heidelberg)

In der Zeit zwischen dem Brester Friedensvertrag und dem Ende des Ersten Weltkrieges ist die diplomatische Vertretung von Sowjetrussland in Berlin zur Achse der deutsch-russischen Beziehungen geworden. Sie wurde für die Sowjetregierung in Moskau zum einzigen „Fenster nach Europa“, das als zentrale Informationsquelle über die Lage in der Außenwelt diente. Zugleich nutzte die Sowjetregierung ihre Berliner Vertretung als wichtigen Kanal für das Knüpfen von Wirtschaftskontakten und die Einflussnahme auf linke Sozialisten in Deutschland und seinen Nachbarländern. Die entsprechenden Akten der Deutschen Vertretung in Moskau über die Lage in Sowjetrussland sind längst der internationalen Forschung zugänglich gemacht worden, während die politischen Berichte des Sowjetbotschafters Adolf Joffe, der 1918 zum engsten Kreis der bolschewistischen Führung um Lenin gehörte, noch kaum wissenschaftlich ausgewertet worden sind. Grund dafür ist neben der Geheimhaltung der grundlegenden Dokumente der Sowjetzeit bis 1991 auch die spätere Teilnahme Joffes am Kampf der Opposition gegen Stalin. Die Veröffentlichung der politischen Berichte des Botschafters Adolf Joffe aus Berlin wird nicht nur das erste Kapitel der Geschichte der deutsch-sowjetischen Beziehungen vervollständigen, sondern kann zudem neues Licht auf die Etablierung der politischen Strukturen und Praktiken der bolschewistischen Diktatur werfen

Violence Against Civilian Victims on the Eastern Front of World War II

(gefördert von der Volkswagenstiftung, Laufzeit: 2016-2023)

Mitarbeiter: Wolfgang Schneider

Das Projekt untersucht Verbrechen an der Zivilbevölkerung der besetzten Gebiete der Sowjetunion, besonders Russlands und der Ukraine. Beteiligt sind Forscherinnen und Forscher aus Deutschland, Russland und der Ukraine, darunter sieben Expertinnen und Experten der Sowjetischen Geschichte und der Geschichte des Zweiten Weltkriegs und sieben Doktorandinnen und Doktoranden aus den drei Ländern. Auf deutscher Seite wird das Projekt von Prof. Dr. Tanja Penter geleitet. Die Projektkoordination ist Aufgabe der deutschen Seite, Projektkoordinator ist Wolfgang Schneider.

Aufbauend auf neueren Forschungen zu lokalen Praktiken der deutschen Besatzungsherrschaft und zum Holocaust in der Sowjetunion, sowie einem wachsenden Interesse an den Besonderheiten des Kriegsstalinismus und den Repressionsmaßnahmen des sowjetischen Staats während des Kriegs werden im Rahmen des Projekts sechs thematische Kernbereiche erforscht: 1) Erfahrungen der Zivilbevölkerung unter verschiedenen deutschen Besatzungsregimen und Gewalt als eine spezielle Form der Herrschaftsausübung; 2) lokale Kontexte und Korrelationen zwischen Ideologie und Politik; 3) der Holocaust im Kontext anderer Formen von Gewalt; 4) Gewalt an der sowjetischen Heimatfront; 5) Gewalt als Teil der Befreiung durch die Rote Armee und der Re-Sowjetisierung der befreiten Gebiete; 6) lokale Gewaltkulturen. Die Lokalstudien werden im Kontext des nationalsozialistischen Vernichtungskriegs im Osten und der repressiven Politik der Kriegsstalinismus analysiert. Als Quellengrundlage der Untersuchungen dienen unter anderem Materialien aus ukrainischen Archiven, die erst kürzlich für wissenschaftliche Untersuchungen freigegeben wurden.

Das Projekt war ursprünglich trilateral deutsch-russisch-ukrainisch. Seit Beginn des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine 2022 ist das Projekt auschließlich bilateral deutsch-ukrainisch.

 

In seinem Artikel "Ostfront des Zweiten Weltkrieges. Brutalität gegen zivilisten auf allen Seiten" berichtet Uli Hufen vom Deutschlandfunk über das Projekt: https://www.deutschlandfunk.de/ostfront-des-zweiten-weltkriegs-brutalit…

 

Veröffentlichungen im Rahmen des Projektes:

Violence Against the Civilian Population in Ukraine. Documents of Soviet Secret Services, 1941-1945, Kyiv 2018 (in Ukrainian) (http://resource.history.org.ua/item/0014212)
 
Violence against civilians. Chernihiv region. Documents of Soviet Secret Services, 1941-1943, Kyiv 2019. (in Ukrainian) (http://resource.history.org.ua/item/0014838)

Die Ermordung von Psychiatriepatienten und Menschen mit Behinderungen unter deutscher Besatzungsherrschaft (1941-1944) in der Ukraine und ihre juristische Aufarbeitung durch die deutsche und sowjetische Nachkriegsjustiz

Buchprojekt von Prof. Dr. Tanja Penter

Transitional Justice: Recht, Justiz und Umbruch in Russland

Forschungsprojekt in Vorbereitung von Prof. Dr. Tanja Penter