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Professur für Wirtschafts- und Sozialgeschichte „Alleinstehende Frauen“, „Freundinnen“, „Frauenliebende Frauen“ – Lesbische* Lebenswelten im deutschen Südwesten (ca. 1920er-1970er Jahre)

Denkmal für die in der NS-Zeit verfolgten Lesben und Schwulen. Ecke Oberanger, Dultstraße am Ort des ehemaligen Lokals "Schwarzfischer", wo 1934 die erste Razzia gezielt gegen Schwule stattfand.

Projektlaufzeit: 1.3.2021 bis 31.10.2022

Obwohl in den letzten Jahrzehnten – besonders abseits von Universitäten und Instituten – einschlägige Forschungsarbeiten zu weiblicher Sexualität entstanden, nimmt die historische Beschäftigung mit lesbischem* Leben noch immer einen marginalen Stellenwert in der Wissenschaft ein. Waren es zunächst Ressentiments und Repressionen gegenüber weiblicher Homosexualität, die die geschichtswissenschaftliche Auseinandersetzung mit dem Thema hemmten, so führten das Verschweigen und Verdrängen lesbischen* Lebens aus der Öffentlichkeit zu den heute oft schwierig zu erschießenden Quellenbeständen. Aufgrund dessen ist über die Lebenssituation, die Diskriminierungen und Emanzipationsbestrebungen frauenliebender Frauen* bisher sehr wenig bekannt. 
 
Ziel des vom MWK Baden-Württemberg geförderten Forschungsprojekts „Alleinstehende Frauen“, „Freundinnen“, „Frauenliebende Frauen“ – Lesbische* Lebenswelten im deutschen Südwesten (ca. 1920er-1970er Jahre)" war es, diese Forschungslücke weiter zu schließen und lesbisches* Leben auch außerhalb von Metropolen wie Berlin oder Hamburg sichtbar zu machen. 
 
Von März 2021 bis Oktober 2022 forschten Prof. Dr. Katja Patzel-Mattern, Mirijam Schmidt (Historisches Seminar, Heidelberg), Prof. Dr. Karen Nolte und Steff Kunz (Institut für Geschichte und Ethik der Medizin) sowie Prof. Dr. Sylvia Palatschek und Muriel Lorenz (Historisches Seminar, Freiburg) zu der Frage, wie lesbische* Frauen im deutschen Südwesten lebten. In drei Teilprojekten, die sich mit lesbischen* Netzwerken, Rechtsfragen und medizinischen Diskursen in Bezug auf weibliche Homosexualität beschäftigten, ist es den Forscher*innen gelungen, die vielfältigen Ausdifferenzierungen lesbischen* Lebens im deutschen Südwesten aufzuschlüsseln. 
 
Die Wissenschaftler*innen konnten anhand der Analysekategorie Heteronormativität, beziehungsweise Nicht-Heteronormativität aufzuzeigen, dass die Nichterfüllung von zeitgenössischen Weiblichkeitsbildern zu Sanktionen führen konnte. Geächtet und auch geahndet wurde beispielweise, wenn eine Frau die Rolle als Ehefrau und Mutter ablehnte, mit anderen Frauen* über das als "gemäß" empfundene Maß intim war, selbstbestimmt Sexualität verweigerte oder sie mit verschiedenen Personen auslebte. Sanktionen umfassten - neben einer gesellschaftlichen Diskriminierung - die Aufsicht durch Behörden sowie durch medizinisches und psychiatrisches Personal und führten bis zu gewalttätigen Anfeindungen durch Mitbürger*innen und staatlicher Verfolgung. 


Durch die verschiedenen Perspektiven der Teilprojekte konnte erarbeitet werden, dass eine behördliche oder gesellschaftliche Sanktionierung von weiblicher Homosexualität oft intersektionale Züge aufwies. Klasse, Geschlecht und Sexualität bestimmten die Bewertung weiblichen Lebens: Besonders wenn eine Frau aus unterbürgerlichen Kontexten abweichend von der bürgerlichen Norm lebte, und daraus Konflikte mit Behörden, Nachbarn oder Angehörigen resultierten, gerieten die intimen Beziehungen zu Frauen* in das öffentliche Blickfeld. Diese Konflikte konnten wiederum zur Überprüfung ihres psychischen Zustandes durch eine „vorsorgliche Aufnahme“ in verschiedenen Psychiatrien oder Heil- und Pflegeanstalten führen. 


Lesbische* Lebenswelten wurden durch die Einflussnahme auf Sexualitäts- und Weiblichkeitsnormen bei Sorgerechtsentscheidungen, aber auch durch die Fürsorgeerziehung, psychiatrische Behandlungen und die gesellschaftliche Stigmatisierung stark begrenzt. Durch die aufwändige Durchsicht des Quellenmaterials konnten mittels der unterschiedlichen Perspektiven der drei Teilprojekte frauenliebende Frauen* sichtbar gemacht werden. Dabei hat sich der doppelte Blick auf die geschlechtsspezifischen Rahmenbedingungen für Frauen* im Allgemeinen sowie der Blick auf weibliche Homosexualität im Besonderen in der Untersuchung bewährt; denn frauenliebende Frauen* bewegten sich in einem Rahmen, der auf der einen Seite durch das nicht Denk- und Sprechbare des eigenen Begehrens und auf der anderen Seite durch ständige Sanktionen durch limitierende Normensetzungen für weibliches Leben als solches begrenzt war. Diese Struktur kann als alltägliche Heteronormativität gekennzeichnet werden und findet sich in allen gesellschaftlichen Bereichen - bei Behörden, am Arbeitsplatz, in der Hausgemeinschaft oder auch in der Psychiatrie. 


Des Weiteren gelang es im Projekt, Konzeptionen von Homosozialität, Intimität aber auch von Familie und Lebensgemeinschaften für die untersuchte Zeit herauszuarbeiten. Der Blick auf die Konflikte innerhalb dieser gesellschaftlichen Strukturen trägt dazu bei, nicht-normative Subjektivierungsprozesse zu erkennen und gleichzeitig eine Geschichte jenseits der Heteronormativität zu schreiben. Ferner bieten diese Konfliktlinien Einblicke in die gesellschaftlich geforderten Sanktionen devianten Verhaltens und in die repressiven, gleichzeitig oft schwammigen Grenzlinien für frauenliebende Frauen*. 


Im am 01. Mai 2023 beginnenden Nachfolgeprojekt „Zwischen Unsichtbarkeit, Repression und lesbischer Emanzipation – Frauenliebende* Frauen im deutschen Südwesten 1945 bis 1980er Jahre“, werden die Forscher*innen auf die bereits gesammelten Ergebnisse aufbauen und untersuchen, wie sich lesbisches* Leben im deutschen Südwesten nach 1945 entwickelte. 

Zum Nachfolgeprojekt

Diese Fragen wurden in drei Teilprojekten diskutiert:


1.   
Das Teilprojekt untersucht anhand biographischer Beispiele Lebenswege „lesbischer* Akteurinnen“ zwischen den 1920er und 1970er Jahren, wobei ein Schwerpunkt auf den Erfahrungen und den Handlungsräumen in der Zeit des Nationalsozialismus liegt. Im Fokus des Projekts stehen frauenliebende Frauen*, die – öffentlich oder in Teilöffentlichkeiten – in Politik, Gesellschaft und Kultur hervortraten oder in politischen, sozialen oder kulturellen Bewegungen, insbesondere der Frauen- und Homosexuellenbewegung, aktiv waren. Es wird versucht, über die „realen“ wie „virtuellen“ Kommunikationsräume, die potentiell im deutschen Südwesten zur Verfügung standen – also Organisationen, Vereine, Clubs, Zeitschriften, Publizistik –Akteurinnen lesbischer* Existenz in ihren Vernetzungen zu erfassen.

Leitung: Prof. Dr. Sylvia Paletschek (Albert-Ludwigs-Universität Freiburg, Historisches Seminar)
Mitarbeiter*in: Muriel Lorenz, M.A.

zur Universität Freiburg
 

2. 
Das Teilprojekt untersucht die Schnittstellen von privaten Lebensentwürfen und gesetzlichen Vorgaben zwischen den 1930er und den späten 1960er Jahren. Dabei stehen Normen und die Art, wie sie durchgesetzt wurden, im Zentrum der Betrachtungen. Konkret fragt das Teilprojekt einerseits danach, wo Frauen* mit ihrer Lebensweise in rechtlichen, polizeilichen oder fürsorgerischen Kontexten sichtbar (gemacht) wurden. Analysiert wird, wie sie sich infolge dessen mit normativen Vorgaben auseinandersetzen und ihre Lebensentwürfe in diesen Kontexten kommunizieren mussten. Zum anderen fragt es nach den juristischen, polizeilichen und fürsorgerischen Diskursen, die die Normsetzungen hervorbrachten, begründeten und legitimierten. Dabei interessiert besonders, welche Möglichkeiten der Kommunikation, aber auch Lebensgestaltung im Spiegel der Überlieferung sichtbar werden.

Leitung: Prof. Dr. Katja Patzel-Mattern (Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg, Historisches Seminar)
Mitarbeiter*in: Mirijam Schmidt, M.A.
 

3.
Das Teilprojekt rekonstruiert, wie im Südwesten die Medizin, besonders die Psychiatrie, mit weiblicher Homosexualität im Untersuchungszeitraum umging, indem aus Publikationen und publizierten Kasuistiken herausgearbeitet wird, wie Wissenschaftler*innen der Psychiatrie und den benachbarten Disziplinen sich bezüglich dieses Themas positioniert haben. Welche Wissenschaftler*innen haben sich besonders hervorgetan? Im zweiten Schritt sollen mit dem patientenhistorischen Ansatz Fallvignetten von frauenliebenden Frauen* und Cross-Dresser*innen rekonstruiert werden, indem die in den psychiatrischen Patientenakten aufzufindenden Spuren in andere Quellen weiterverfolgt werden (Fürsorgeakten, Polizeiakten und Gerichtsakten). Auf diese Weise können aus dieser Perspektive Lebenswege frauenliebender Frauen* sichtbar gemacht werden.

Leitung: Prof. Dr. Karen Nolte (Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg, Medizingeschichte)
Mitarbeiter*in: Steff Kunz, M.A.

Zur Medizingeschichte

Gedenkkugel für lesbische Frauen im ehemaligen Frauen-KZ Ravensbrück.

Die Ergebnisse der drei Teilprojekte werden in Fallvignetten zusammengeführt. Dazu werden biografische Fragmente und Spuren, die frauenliebende Frauen* in den Bereichen von Politik, Gesellschaft, Kultur, Justiz und Medizin hinterlassen haben, rekonstruiert. Der Vergleich dieser einzelnen Biografien und Fallvignetten ermöglicht es, Handlungsräume von Frauen, deren Empfinden und Verhalten von heteronormativen Vorstellungen abwich, aufzuzeigen und Veränderungen sowie Kontinuitäten über die politischen Systeme hinweg sichtbar zu machen.

Das Projekt wurde vom Ministerium für Wissenschaft, Forschung und Kunst Baden-Württemberg gefördert. 

Logo des Ministerium für Wissenschaft, Forschung und Kunst Baden-Württemberg

Blog und BlueSky

Im Rahmen des Forschungsprojekts entstand der Blog "Lesbische* Lebenswelten im dt. Südwesten 1920–1970", der nun unter dem Namen "Lesbische* Lebenswelten – Zwischen Unsichtbarkeit, Repression und lesbischer Emanzipation – Frauenliebende* Frauen im deutschen Südwesten 1945 bis 1980er Jahre“ fortgeführt wird. Er ermöglicht den Mitgliedern des Projekts und externen Autor*innen die Gelegenheit, über aktuelle Forschungsergebnisse zu diesem Thema zu veröffentlichen.
Zusätzlich werden über den Bluesky-Account "@LesbischeL" über anstehende Termine und Neuigkeiten des Projekts informiert.

Pressespiegel

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Interview mit Prof. Dr. Sylvia Paletschek im SWR2 vom 18.05.2021: Lesbische Lebenswelten im Südwesten - Historisches Forschungsprojekt.
Pressemitteilung des Staatsministeriums Baden Württemberg vom 13.04.2021: Land unterstützt Forschungsprojekt zum Leben lesbischer Frauen, MWK Baden-Württemberg.

Veranstaltungsarchiv

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Am 22.05.2022 findet die queere Stadtführung "Kreuz und queer durch Heidelberg. Eine Führung zu Heidelbergs LGBTIQ-Geschichte" statt.
Im Wintersemester 2021/2022 findet die religionswissenschaftliche Ringvorlesung zum Thema "Gender- und Queerstudies als erkenntnistheoretische Herausforderung für die Religionswissenschaft" statt. Beteiligt sind die Universitäten Heidelberg und Hamburg.